/ Fachartikel, Corporate

Sind Quantencomputer für funktional sichere Produkte einsetzbar?

OEM&Lieferant | März 2023

Von Marc Maußner, Senior Engineer, infoteam Software Gruppe

Quantencomputer können Probleme schneller und effizienter lösen als bisherige Computer. Bieten sie sich damit zum Einsatz für funktional sichere Produkte nicht geradezu an? Dieser Artikel skizziert beide Fachgebiete, stellt die Hauptunterschiede heraus und gibt einen Ausblick auf mögliche Einsatzgebiete von Quantencomputern für funktional sichere Produkte.

Anforderungen an funktional sichere Produkte

Bei funktional sicheren Produkten stellen verschiedenste risikomindernde Maßnahmen sicher, dass das Restrisiko für Gefahren für Leib und Leben auf ein akzeptables Minimum reduziert ist. Diese Maßnahmen umfassen Anforderungen an den Entwicklungsprozess, Absicherungen für Ausfälle und Fehler der eingesetzten Hardware sowie Anforderungen an das Produkt bezüglich Determinismus oder reduzierter Komplexität.

Spezifika von Quantencomputern

Quantencomputer zeichnen sich im Vergleich mit konventionellen Computern dadurch aus, dass sie nicht nur mit den Bit-Zuständen „0“ und „1“ rechnen können. Vielmehr können sie „gleichzeitig“ mit allen Zwischenzuständen rechnen (vgl. Superposition, Schrödingers Katze und Welle-Teilchen-Dualismus). Aufgrund dieser Eigenschaften gehören Quantenalgorithmen in die Klasse der probabilistischen Algorithmen, d. h., man erhält Ergebnisse mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Um statistisch sichere Ergebnisse zu erhalten, müssen Quantenalgorithmen daher mehrfach ausgeführt werden. Die Anfälligkeit für Fehler (Noise) erfordert es, für Fehlerabsicherungen von Zwischenschritten der Algorithmen zu sorgen. Einen großen Einfluss auf die Größe und Ausführungsdauer von Quantenalgorithmen hat die Dekohärenzzeit – um nicht am Ende als Ergebnis nur noch „Rauschen“ zu erhalten.

Diskurs über Verwendungsmöglichkeiten von Quantencomputern für funktional sichere Produkte

Ein Hauptaspekt bei der Entwicklung von funktional sicheren Produkten ist der Determinismus: Zu jedem Zeitpunkt muss eindeutig identifizierbar sein, wie sich das System verhält. Dies steht in eklatantem Widerspruch zur Verwendung probabilistischer Algorithmen, die sich dadurch auszeichnen, Ergebnisse nur mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit zu erhalten. Damit sind grundsätzlich auch falsche Zustände oder Zustände mit Gefahr für Leib und Leben nicht ausgeschlossen. Das Konzept der Superposition und damit die Anwendung von überlagerten Zuständen stützt diese Aussage zusätzlich.

Ein weiterer Hauptaspekt funktional sicherer Produkte liegt auf der Absicherung der Hardware durch Software. Bei Quantencomputern befinden wir uns aktuell in der NISQ-Ära („Noisy Intermediate Scale Quantum Computer“), d. h., dass sich derzeit erhältliche Systeme durch kurze Dekohärenzzeiten und eine hohe Fehleranfälligkeit auszeichnen. Momentane Quantenalgorithmen dürfen auf diesen Systemen folglich nur sehr kurze Laufzeiten aufweisen, um als Ergebnis nicht nur „Rauschen“ zu erhalten. Weiterhin sind nur ca. 10 Prozent der verfügbaren Qubits (kleinste Rechen- und Informationseinheit eines Quantencomputers) auch tatsächlich für Rechnungen verwendbar; der Rest wird für die Fehlerprüfung benötigt.

Aufgrund der steigenden Vernetzung von (Teil-)Systemen wird die cybersichere Kommunikation in Zukunft von zentraler Bedeutung für funktional sichere Produkte sein. Schon heute gibt es Protokolle für den Quantenschlüsselaustausch, die die Prinzipien der Quantencomputer einsetzen. Nach einer Ausschreibung kürte die US-amerikanischen Bundesbehörde „National Institute for Standards and Technology“ (NIST) im vergangenen Sommer die ersten Post-Quanten-Verschlüsselungsalgorithmen, die dem Problem des Berechnens des privaten Schlüssels bei der asynchronen Verschlüsselung begegnen und damit vor Quantencomputern sicher sein sollen. Dies wird vor allem durch den Algorithmus von Peter Shor für Quantencomputer vereinfacht.

KI (künstliche Intelligenz) hält auch in funktional sichere Produkte Einzug. Diverse Normungsgremien beschäftigen sich aktuell mit der Frage, welche Anforderungen in diesem Kontext an KI zu stellen sind. Von Quantencomputern erhofft man sich kürzere Trainingszeiten bzw. bessere Ergebnisse für KI. Ob und inwieweit sich die Hoffnungen in diesem weiten Forschungsfeld erfüllen, wird erst die Zukunft zeigen.

Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass Quantencomputer erst in (ferner) Zukunft für die Entwicklung von funktional sicheren Produkten einsetzbar sein dürften.

Offline werden sie möglicherweise eingesetzt werden für das schnellere Trainieren von KI, beispielsweise für ADAS (Advanced Driver Assistance System) im Automotive-Sektor, wo sowohl die Umfelderkennung als auch die Wegplanung/Navigation unterstützt werden können. Denkbar ist auch ein Einsatz in der Produktionsplanung oder für die multikriterielle Optimierung/Vektoroptimierung des Produkts. Ergebnisse wären dann schneller erzielbar und es ließen sich mehr Kriterien als bei konventionellen Computern betrachten.

Nicht zuletzt sind auch Online-Systeme als direkte Bestandteile eines Produkts denkbar, z. B. für die sichere Kommunikation über Quantenschlüsselaustausch.

Um für die Zukunft gerüstet zu sein, beschäftigt sich infoteam eingehend mit den aktuell verfügbaren Quantentechnologien und deren Einsatzmöglichkeiten. Dies geschieht im intensiven Austausch mit den Experten anderer Anwendungsfelder wie z. B. der Funktionalen Sicherheit oder auch der Cybersecurity.

Erschienen in "OEM&Lieferant" - hier geht´s zum Online-Artikel (Seite 28).