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Interdisziplinäre Softwarekompetenz für das IIoT

openautomation | November 2021

Die Bedeutung von Software nimmt auch im Maschinenbau stetig zu. Die Infoteam Software AG hat dieses Kompetenzfeld bereits in ihrem Firmennamen verankert. Seit fast 40 Jahren bietet sie ein breites Portfolio an Softwarelösungen bis hin zu Dienstleistungen an. Im Interview erläutert Siegfried Schülein, Director Maschinenbau, die Markttrends, welche Herausforderungen die Digitalisierung für OEM mitbringt und wie Infoteam sie mit agilen Softwarelösungen unterstützt.

Herr Schülein, durch die Digitalisierung scheint sich die Welt immer schneller zu drehen. Für Maschinenbauer, die früher peu à peu und dafür gründlich Weiterentwicklungen vorgenommen haben, scheint dies schwierig vereinbar – oder wie sehen Sie das?

Die Welt wird schneller und darauf wird der mittelständische Maschinenbauer, wenn er wettbewerbsfähig bleiben will, auch entsprechend reagieren müssen. Die Zeiten der langsamen und kontinuierlichen Weiterentwicklung sind endgültig vorbei. Notwendige Innovationen hat man zwar erkannt und viel darüber geredet, aufgrund der guten Auftragslage in den Jahren vor der Pandemie aber leider in keiner Weise darauf reagiert. Die Pandemie und die damit häufig einhergehende Kurzarbeit haben die Innovationsfreude dann natürlich auch nicht wirklich gefördert. Daraus resultieren die aktuellen Probleme – hoher Preisdruck und sehr niedrige Innovationsgeschwindigkeit – speziell im Wettbewerb mit asiatischen Unternehmen. Über den Preis wird man diesen Kampf nicht gewinnen können. Folglich bleiben nur Innovationsgeschwindigkeit und neue Geschäftsmodelle, um wieder vorne mitspielen zu können. Diese Entwicklungen müssen jedoch agil und mit einer deutlich gesteigerten Geschwindigkeit umgesetzt werden.

Die Digitalisierung hat sicherlich auch Ihr Geschäft verändert. Bitte geben Sie einen kurzen Einblick, wie sich infoteam organisatorisch und angebotsseitig in den letzten Jahren transformiert hat. Inwieweit hat sich die Softwareentwicklung verändert?

Das ist richtig. Als ich vor fast acht Jahren bei infoteam begonnen habe, war die Zusammenarbeit mit unseren Kunden häufig auf die reine Applikationsentwicklung, also den funktionalen Ablauf in Maschinen und Anlagen, fokussiert. Das hat sich in den letzten Jahren massiv geändert. Wir haben heute primär sehr innovative Maschinenbauer als Kunden, oder, wie ich es lieber bezeichnen möchte, als Partner. Die Zusammenarbeit beginnt in der Regel schon bei der Ideenfindung und der Anforderungsanalyse für innovative Projekte. Hier bringen wir unser breites Kompetenzportfolio in den aktuellen Industrie-4.0-Technologien wie auch unsere hohe Domänenkompetenz im Maschinenbau und in der Produktion ein. Praxiserprobte agile Softwareentwicklungsprozesse und zertifizierte Managementsysteme (QM, Informationssicherheit, Functional Safety und QM für Medizinprodukte) runden unser Portfolio ab. Letztendlich haben wir uns vom Softwarespezialisten zum interdisziplinären Softwarelösungspartner entwickelt. Wir decken das komplette IT/OT-Technologieportfolio vom Field Level über den Factory Level bis zum Cloud Level ab, also vom Sensor/Aktor über die Steuerung bis zur IoT-Plattform, und sind damit in der Lage, mit unseren Kunden/Partnern sehr innovative Komplettlösungen zu entwickeln.

Seit Jahren hält der Trend an, dass immer mehr Funktionen in Software abgebildet werden. Wie weit decken OEM dieses Thema selbst ab und wann kommt infoteam ins Spiel?

Software ist im Maschinenbau schon lange nicht mehr das „notwendige Übel“, sondern der Schlüssel für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings ist dazu ein durchgängiges Know-how in allen Industrie-4.0-Technologien und modernen, agilen Prozessen zur Softwareentwicklung notwendig. Das nötige Kompetenzportfolio umfasst neben der klassischen SPS-Programmierung auch die Hochsprachenprogrammierung (z. B. C#, WPF, Angular, R etc.), Data Analytics, künstliche Intelligenz (KI), digitale Zwillinge inkl. Agententechnologie, Web-, Cloud-, IoT- und Edge-Technologien. Diese Kompetenzen kann ein mittelständischer Maschinenbauer nicht im eigenen Haus aufbauen und kontinuierlich auf aktuellem Stand halten. Die Gründe sind offensichtlich. Das ist nicht in einer akzeptablen Zeit realisierbar, es ist wirtschaftlicher Nonsens und die benötigten Mitarbeiter mit dieser Expertise sind – für einen Maschinenbauer – sehr schwer zu finden und noch schwerer über einen längeren Zeitraum an ein Maschinenbauunternehmen zu binden. Deshalb sind Kooperationen zwischen Maschinenbauer und Softwarelösungspartnern mit ausgeprägtem Domänen-Know-how im Maschinenbau auch in Deutschland zwingend erforderlich, so wie das in den USA und den asiatischen Märkten schon lange üblich ist. infoteam arbeitet schon seit Langem mit mittelständischen Maschinenbauern im asiatischen Raum wie auch in der DACH-Region in langfristig angelegten partnerschaftlichen Kooperationen zusammen, die auf gegenseitigem Vertrauen aufbauen. Wir werden in der Regel schon beim Requirement Engineering eingebunden und realisieren dann die Gesamtlösungen von der Architekturentwicklung über die Implementierung und Erstinbetriebnahme bis zur Pflege und Wartung. Diese Entwicklungen werden stets in einer agilen, offenen, transparenten, partnerschaftlichen und lösungsorientierten Vorgehensweise durchgeführt. Mit größeren Maschinenbauern entwickeln wir auch Lösungen in gemischten Teams, die aus Entwicklern oder Prozessspezialisten unseres Kunden und unseren Entwicklern und Experten bestehen.

Durch die fortschreitende Digitalisierung wachsen OT und IT immer weiter zusammen: Daten aus der Feldebene werden übergeordneten Systemen zur Verfügung gestellt, es treten neue Kommunikationsstandards auf den Plan, Security-Standards aus zwei Welten müssen zusammengeführt werden, KI, Cloud & Co. werden auch für den OEM zu relevanten Themen. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Ihre Kunden und wie unterstützen Sie sie bei diesen Themen?

Der größte Innovationshemmer ist die aus dem letzten Jahrhundert stammende Denkweise, dass ein mittelständischer Maschinenbauer das komplette Know-how für seine Maschinen und Anlagen im eigenen Haus haben muss. Das führt dazu, dass man versucht, Entwicklungsteams im eigenen Haus aufzubauen, an die man diesen Anspruch auch real stellt. In der Vergangenheit war das, wenn auch damals schon unwirtschaftlich und mit langen Entwicklungszeiten verbunden, noch möglich, da man im Wesentlichen den OT-Bereich abdecken musste. Um den OT- und IT-Bereich in der notwendigen Breite und Tiefe abdecken zu können, ist jedoch ein um Dimensionen größeres Kompetenzportfolio notwendig. Daraus resultieren in der Regel sehr hohe und stetig wachsende Softwareentwicklungskosten, zu lange Innovationszyklen und, nicht zu vergessen, eine extrem hohe Abhängigkeit des Maschinenbauers von einzelnen Entwicklern, also ein hohes Risiko, mit dem Verlust eines einzigen Entwicklers auch einen großen Teil der teuer aufgebauten Inhouse-Kompetenzen unwiderruflich zu verlieren. Die größte Herausforderung ist also ein notwendiger Paradigmenwechsel, weg von der real nicht umsetzbaren Vision der umfassenden Inhouse-Kompetenz hin zu Kooperationen zwischen Maschinenbauer und Softwarelösungspartner mit hoher Technologie- und Domänenkompetenz. Wir unterstützen dabei durch Geschäftsmodelle, die auf langfristige, partnerschaftliche, transparente und verlässliche Kooperationen ausgerichtet sind und die notwendigen Kompetenzen kontinuierlich auf dem Cutting-Edge-Level halten.

Auch die funktionale Sicherheit ist ein wichtiges Thema in der OT, das Sie seit Jahren bedienen. Wo positioniert sich funktionale Sicherheit innerhalb von IIoT-Projekten und inwieweit beherrschen mittelständische Unternehmen dieses Thema eigenständig bzw. kaufen es extern zu?

Man muss hier zwei unterschiedliche Anforderungen an Functional Safety unterscheiden: Die eine ist die Umsetzung entsprechend der Maschinenrichtlinie im OT-Bereich mit am Markt verfügbaren sicheren Komponenten wie z. B. sichere Antriebe, sichere Steuerung etc. Das beherrscht der Maschinenbauer in der Regel selbst, da diese Komponenten auch dafür entwickelt wurden und die Komplexität im Handling entsprechend reduziert wurde. Wir unterstützen hier mit Software-Generatoren, um auch im Bereich Safety dem Anspruch „Parametrieren anstatt Programmieren“ gerecht zu werden. Eine wesentlich größere Herausforderung ist die Entwicklung funktional sicherer Automatisierungskomponenten, die in der Regel auch eine entsprechende Zertifizierung benötigen. Für diese Entwicklungen sind wir ein kompetenter Entwicklungspartner, der über langjährige Erfahrung und zertifizierte Safety-Management-Prozesse verfügt.

Der digitale Zwilling steht im Mittelpunkt vieler IIoT-Projekte. Da ihn noch nicht jeder lieb gewonnen hat, rühren einige Treiber die Marketingtrommel und/oder beteiligen sich an Allianzen wie der IDTA. Wie ordnen Sie Angebot, Nachfrage, Aufwand und Allianzen ein?

Ich möchte dazu mit einem Zitat von Gunther Koschnick, ZVEI-Geschäftsführer FV Automation, beginnen: „Der ZVEI ist federführend beim Thema Verwaltungsschale und hat diese vor sechs Jahren auf den Weg gebracht. Mit der IDTA können wir jetzt in die Operationalisierung gehen und haben eine zentrale Anlaufstelle für alle Ergebnisse, die wir gemeinsam mit anderen im Kontext des Digitalen Zwillings und der Verwaltungsschale erarbeiten. Die Weiterentwicklung und internationale Verbreitung der Asset Administration Shell wird damit für jedermann zugänglich.“ Man muss dazu wissen, dass die IDTA erst Anfang März 2021 die operative Arbeit aufnahm. Wenn man sechs Jahre für die Verwaltungsschale gebraucht hat, kann man sich vorstellen, wie lange die internationale Standardisierung des digitalen Zwillings dauern wird. Aus meiner Sicht ist noch ziemlich unklar, was die wirkliche Relevanz in der Praxis sein wird. Unabhängig davon haben wir aber diese Zeit einfach nicht. Im Marketing wird heute nahezu alles, was mit dem digitalen Abbild einer physischen Komponente zu tun hat, als digitaler Zwilling verkauft. Das fängt bei ganz einfachen Datenmodellen an und hört bei Abbildern mit eigener Intelligenz auf. Wir haben mit unserer Agententechnologie digitale Zwillinge mit eigener Intelligenz entwickelt und in Forschungsprojekten wie z. B. Robofill den praktischen Einsatz erfolgreich erprobt. Das ist die Basistechnologie für Cyber-Physical Production Systems (CPPS), mit denen die Realisierung von hochflexiblen innovativen Produktionssystemen möglich wird.

Bitte lenken Sie abschließend Ihren Blick auf das Jahr 2026: Wird Ihre Software dann von selbstlernenden Algorithmen weiterentwickelt, Ihre Kunden nur noch von Vertriebs-Avataren betreut und die Fertigungen Ihrer Kunden von digitalen Zwillingen gesteuert werden? Im Ernst: Wird der Mittelstand bis dahin die Chancen der Digitalisierung erkannt haben und sie durchgängig nutzen?

Natürlich wird sich in den nächsten fünf Jahren einiges ändern. Die Welt wird noch schneller werden, der Wettbewerb aus den asiatischen Ländern wird noch größer werden und es wird, aus meiner Sicht, viele mittelständische Maschinenbauer, die die notwendige Innovationsgeschwindigkeit nicht erreicht haben, nicht mehr geben. Das ist eine natürliche Marktbereinigung, die heute einfach schneller stattfindet. Innovative Unternehmen, die verstanden haben, Kooperationen als einen der leistungsfähigsten Innovationsmotoren zu nutzen, werden auch im globalen Markt ihre Existenzberechtigung weiter behalten und ausbauen. Des Weiteren werden sie ihre Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit extrem steigern können. Natürlich muss man hier alle zielführenden Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, also „Digitalisierung, um Mehrwert zu generieren“ und nicht „Digitalisierung der Digitalisierung wegen“. An Vertriebs-Avatare glaube ich jedoch nicht, da Vertrieb in unserem Bereich zwischen Menschen stattfinden muss. Nur so lässt sich die notwendige Vertrauensbasis aufbauen. Allerdings wird sich die Art der Softwareentwicklung von der Programmierung zur Konfigurierung entwickeln und natürlich werden Fertigungen und Produktionen deutlich flexibler und wirtschaftlicher werden und mit Agenten und digitalen Zwillingen ausgestattet sein.

Erschienen in der openautomation - hier geht´s zur Online-Ausgabe.

Kontakt:

Siegfried Schülein, Director Maschinenbau
software-im-maschinenbau@infoteam.de

infoteam unterstützt bei den Herausforderungen, die die Digitalisierung für OEM mit sich bringt. (Foto: Adobe - ©Eisenhans)